Die Geschichte: Ein Schweiz in Miniatur

    Pierre Vuigner: genauso stellst du Dir einen Pionier vor: Besessen von einer, seiner Idee, eine schweizweite Attraktion aufzubauen. Ein „Schufter“, ein „Hans-Dampf-in-allen Gassen“, der weder Feier- noch Sonntage, Ferien oder Faulenzen kannte. Immer mit Vollgas voran.

    Von seinen Weggefährten forderte er viel, gab ihnen aber auch viel. Kam es dennoch zu unüberwindlichen Meinungsverschiedenheiten, fand er stets grosszügige Lösungen. Diese Beschreibung könnte auf verschiedene Schweizer Pioniere zutreffen. Gemeint ist hier Pierre Vuigner, gebürtiger Walliser, aus Grimisuat, der vor 60 Jahren eine Idee hatte, die ihn nicht mehr losliess. Nach dem Vorbild des holländischen Parks Madurodam wollte er in der Schweiz etwas Gleiches schaffen.

    Pierre Vuigner war 32 Jahre jung, betrieb in Grimisuat ein Lebensmittelgeschäft, war Gemeindesekretär, hatte zuvor am Gymnasium Latein gelernt, war Sportler durch und durch. Sein Leben schien, bis zum Tag, als ihn die Idee nicht mehr losliess, in überaus geordneten Bahnen zu verlaufen. Aber da war diese Idee, die ihn Tag und Nacht verfolgte. Um sie in die Tat umzusetzen, benötigte er ein Grundstück an attraktiver Lage. Seine Tour de Suisse begann in Küsnacht, führte über Pratteln nach Thun und als letzte Etappe ins Tessin, nach Melide, diesem malerischen Dorf, das zwischen Bergen und Seedamm eingebettet, darauf wartete, aus dem Schlaf geweckt zu werden.

    Melide ist für Pierre Vuigners Idee wahrlich ein Glücksfall. Der Gemeindepräsident, namens Gallino, ist von der Idee derart begeistert, dass er sämtliche bürokratischen Hürden in der Rekordzeit überwindet. Dabei hilft ihm der Umstand, dass die Idee herumgeisterte, auf dem brachliegenden Gelände einen Campingplatz zu errichten, was der Dorfgemeinschaft ein Dorn im Auge war. Das Abkommen zwischen der Gemeinde Melide und Pierre Vuigner sah vor, das Gelände für 30 Jahre in Pacht zu bekommen. Der Vertrag wird später beiderseits um 45, dann um 60, und schliesslich um 86 Jahre verlängert. Swissminiatur wird demzufolge bis im Jahre 2042 an seinem Standort bleiben können.

    Pierre Vuigner, inzwischen Vater zweier Söhne, Dominique und Jean-Luc, hat zwar das Land, ihm fehlt indessen das Startkapital. Vor allem aber die Modelle. Er verkauft sein Geschäft in Grimisuat und familieneigene Grundstücke. Mit dem Erlös zieht er nach Melide. Noch immer von seiner Idee besessen, macht er sich mit einigen Gleichgesinnten an die Arbeit. Die ersten Modelle, im Massstab 1:25 sind bereit. Eine Modellbahn soll die Besucher durch die noch öde Swissminiatur fahren. Die Zeit drängt, das Kapital schmilzt wie Schnee an der Frühlingssonne. Pionier Pierre und seine Angestellten sind nun ganz dringend auf Einnahmen angewiesen.

    Der Eröffnungstermin wird auf den 6. Juni 1959 festgelegt. Doch die Anlage bietet Tage davor ein eher dürftiges Gesamtbild. Pierre Vuigner erinnert sich mit einem verschmitzten Lächeln daran, dass das Matterhorn noch im Bau war, einige der Wiesen statt leuchtend grün ein gelbliches Braun aufwiesen, aber wir waren alle unverbesserliche Optimisten. Sie krempelten die Ärmel hoch, und nachdem sie Tag und Nacht ununterbrochen gearbeitet hatten, war das Werk endlich vollendet.

    Die neue Attraktion am Ufer des Luganersees erweist sich als Volltreffer. Nach vier Monaten macht Pierre Vuigner Kassensturz: eine Goldgrube.

    Es folgen die Boomjahre, die goldenen 70er. Das Tessin wird an den Wochenenden und an Feiertagen von den Italienern regelrecht gestürmt. Der Grund für die Invasion der kaufwütigen, südlichen Nachbarn ist klar: Für 1000 Lire bekommen die Italiener sieben Schweizerfranken. 65% aller Swissminiatur-Besucher reisen in Chiasso über die Grenze, und versorgen sich mit Schweizer-Schokolade, Zigaretten, füllen die Restaurants und Kaufhäuser und nehmen vor den Swissminiatur-Kassen stundenlange Wartezeiten in Kauf.

    In diesen Jahren investiert Pierre Vuigner Jahr für Jahr beträchtliche Summen in die Park-Anlage. Neue Modelle, neue Attraktionen. Und als gewiefter PR-Profi versteht er es auch, Stars und Sternchen und Prominente in seine Werbeaktionen einzubeziehen. Caterina Valente, Lys Assia, Vico Torriani, Peter Kraus, Marisa Salina, Nicola di Bari, Anita Traversi, Febo Conti, Hermann Geiger und Marina Doria posieren in der Swissminiatur, TV-Sendungen werden aufgezeichnet, Volksfeste gefeiert. In Melide hatte ich meine Amerika gefunden, erinnert Pierre Vuigner.

    Doch auf die Zeit der goldenen, fetten 70er-Jahre, folgen Krisenjahre. Die italienische Lira leidet an Schwindsucht, die Italiener erhalten für 1000 Lire gerade noch 70 Rappen, anstatt sieben Franken. Die Schweiz, das ehemalige Einkaufsparadies, ist für sie zu teuer geworden. Der Einkaufstourismus entwickelt sich in entgegengesetzter Richtung, nun überqueren jedes Wochenende tausende von einkaufswilligen Tessinern die Grenze und fahren ins preisgünstige Italien. Swissminiatur setzt fortan auf Touristen aller Herren Länder,

    Pierre Vuigner übergibt das Szepter im Frühjahr 1986 seinen beiden Söhnen Dominique und Jean-Luc. Er steht ihnen aber bei Bedarf immer noch mit Rat und Tat zur Seite. nzwischen 83jährig, bringt er die Erfolgsstory von Swissminiatur auf einen einfachen Nenner: mon Dieu, j’ai plus de chance que d’intelligence.

    Mit Bescheidenheit, Ausdauer, Wagemut und Pioniergeist hat Pierre Vuigner in Melide etwas geschaffen, das zu einer schweizerischen Institution geworden ist: die kleine Schweiz, in einer Stunde zu besichtigen und zu erleben…